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Titel
Revolutions from Grub Street. A History of Magazine Publishing in Britain


Autor(en)
Cox, Howard; Mowatt, Simon
Erschienen
Anzahl Seiten
XII, 263 S.
Preis
€ 47,20 / £ 35.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gerulf Hirt, Historisches Institut, BMBF-Forschungsverbund „PolitCIGs“, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Seit rund 300 Jahren stellen britische Verbraucherzeitschriften, die sich auf die Freizeitinteressen und Unterhaltung ihrer jeweiligen Leserzielgruppen konzentrieren, nicht nur ein ökonomisch bedeutsames Marktsegment dar, sondern auch einen integralen Bestandteil der Alltagskultur des Vereinigten Königreiches. Diese wöchentlich oder monatlich erscheinenden Printmedien von unterschiedlicher Lebensdauer beeinflussten die Alltagswelten und Identitäten ihrer Leser nachhaltig, indem sie nicht nur deren Interessen aufgriffen, sondern letztere eben auch beeinflussten. Aus heutiger Sicht handelt es sich bei diesen Zeitschriften immer auch um Sonden in die jeweilige Zeit, die nicht zuletzt Einblicke in das jeweilige Denk- und Konsumverhalten (etwa über den Abdruck kommerzieller Werbeanzeigen) eröffnen können. Zweifellos stellten die Verlage, die Verbraucherzeitschriften (und daneben nicht selten auch Zeitungen und weitere Printmedien) veröffentlichten, eine wichtige Branche der britischen Volkswirtschaft dar. Dabei operierten und operieren die Verlage auf einem Pressemarkt, der sich äußerst dynamisch verändert hat und immer härter umkämpft war und ist. So interagieren eine Vielzahl betrieblicher Automatisierungs-, Rationalisierungs- wie Standardisierungsprozesse mit sich verändernden Seh- und Rezeptionsgewohnheiten der Leserzielgruppen und umgekehrt.

Bei der vorliegenden Monografie handelt es sich nun um die erste umfassende Unternehmens- und Wirtschaftsgeschichte des britischen Zeitschriftenverlagswesens mit einem Schwerpunkt auf den Verlagen, die Verbraucherzeitschriften veröffentlichten. Die ebenso konzise wie flüssig geschriebene Überblicksstudie setzt mit den lokalen Ursprüngen des britischen Zeitschriftenverlagswesens in der Londoner Grub Street des 17. Jahrhunderts ein und reicht tief ins globalisierte, digitale Zeitalter des 21. Jahrhunderts hinein.

Auf der beeindruckend vielseitigen Grundlage von Archivquellen einzelner Großverlage, Geschäftsberichten, verlagsinternen Mitarbeiterzeitschriften, Fachzeitschriften des britischen Verlagswesens, Ergebnissen einer Langzeitleserbefragung zwischen 2002 und 2008 und diversen Interviews mit Verantwortlichen aus dem Verlagswesen, aber auch aus dem Einzel- und Großhandel, spüren Cox und Mowatt stringent den Perspektiven der jeweiligen Verlage und ihrer Verlegerpersönlichkeiten nach. Es geht ihnen folglich nicht um eine kultur- oder kommunikationsgeschichtliche Analyse der Zeitschrifteninhalte, in denen sich immer auch soziokulturelle Prozesse widerspiegelten. Dagegen liegt der Schwerpunkt der Studie auf den unternehmerischen Marktstrategien britischer Verlagshäuser – und dies vornehmlich auf den englischen und schottischen Pressemärkten. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf die jeweiligen unternehmerischen Reaktionen auf gesellschaftlichen und technologischen Wandel sowie auf staatliche Politiken (etwa hinsichtlich staatlicher Besteuerungsregelungen) gelegt, denen in acht Hauptkapiteln mit großer Akribie und Sorgfalt nachgespürt wird.

Die Studie beginnt mit der ersten periodischen Verbraucherzeitschrift, die ihren Weg von der Londoner Grub Street aus nahm: dem Gentleman’s Magazine. Dabei handelte es sich zugleich um die erste britische Zeitschrift, die das Substantiv „magazine“ bereits in ihrem Titel führte. Diese literarische Zeitschrift war bis 1907 überaus erfolgreich und zeitigte entsprechend viele Nachahmer von unterschiedlicher Überlebensdauer auf dem britischen Zeitschriftenmarkt. In den folgenden Kapiteln wird der Leser detailliert und überaus umsichtig mit den fünf zentralen Entwicklungsprozessen des britischen Verlagswesens vertraut gemacht, die sich seit den Anfängen in der Londoner Grub Street in einer komplizierten Gemengelage entfalteten.

Bei diesen „Revolutions from Grub Street“ handelte es sich – erstens – um die langfristige Transformation einer lokal angesiedelten Wirtschaftsbranche hin zu einer multinational operierenden. Zweitens entwickelten sich aus kleinen, unabhängig auf dem Pressemarkt operierenden Unternehmen zunehmend großindustrielle Konzernstrukturen, Monopole bzw. Oligopole, die sich später jedoch wieder in verschieden organisierte Unternehmensstrukturen ausdifferenzierten. Ebenso wie in vielen anderen Wirtschaftssektoren ist – drittens – auch im britischen Verlagswesen ein langfristiger Trend von familiär geführten Eigentümerunternehmen hin zu Großunternehmen mit vertikal-integrierten Hierarchien zu beobachten. Viertens wurden diese komplexen und keineswegs linear verlaufenden Prozesse immer wieder von technologischen Innovationsschüben beschleunigt oder in neue Bahnen gelenkt. Einen nicht geringeren Einfluss hatten dabei – fünftens – die jeweiligen kulturellen wie sozialen Entwicklungsprozesse, die gerade auf das Segment der Verbraucherzeitschriften fortwährend Rückkopplungseffekte zeitigten.

Zuletzt gehen Cox und Mowatt auf die Auswirkungen der Erfindung des PCs und des Internets auf die Verlagswelt ein, die diese bekanntlich vor fundamentale Herausforderungen stellte und noch immer stellt. Schließlich entstanden Online-Magazine, die gänzlich auf ein Printäquivalent verzichteten und ganz andere Vervielfältigungsstrategien nutzten – etwa hinsichtlich der viralen Verbreitung kommerzieller Werbung. Mit dem Aufkommen von Blogs konnten Online-Verbraucherzeitschriften die Leserreaktionen in Echtzeit abbilden sowie diese wiederum umgehend redaktionell kommentieren. Eine enorme Dynamisierung der Botschaften – auch und gerade im Zusammenspiel mit sozialen Netzwerken wie Facebook oder Twitter – und deren räumliche Entgrenzung mittels transportabler Note- und Netbooks, Tablets und Smartphones war die Folge.

Wie Cox und Mowatt aber richtigerweise betonen, fluktuierten und fluktuieren zwar die auf dem Pressemarkt verfügbaren Verbraucherzeitschriften, doch die Printzeitschrift an sich wurde keineswegs vollends durch die stetig voranschreitende, sich weiter ausdifferenzierende Digitalisierung des gesamten Pressewesens verdrängt. Vielmehr existieren Print- und Digitalmedien in einer Art symbiotischen Beziehung miteinander, da der Durchschnittsleser noch immer auch an der Printzeitschrift festhält. Freilich wäre noch genauer zu untersuchen, für welche Alterskohorten und Milieus dieser Befund wirklich Geltung beanspruchen kann und worin genau die konkreten Gründe für das Fortbestehen des Printpressewesens insgesamt zu suchen sind. Dies wäre aber Aufgabe einer anderen Studie.

Insgesamt gelingt es Cox und Mowatt sehr überzeugend, die nicht selten schwer überschaubare Vielfalt und die wechselhaften Entwicklungen des britischen Verlagswesens mit einem Fokus auf Verbraucherzeitschriften in der gebotenen unternehmens- und wirtschaftshistorischen Tiefe aufzuzeigen. Gründungen, Aufstiege, Übernahmen, Fusionen, Expansionen und Niedergänge der bedeutendsten britischen Verlage werden in all ihren Facetten dargestellt und dabei stets sorgfältig in die jeweiligen gesellschaftlichen, politischen, betriebs- wie volkswirtschaftlichen Kontexte eingeordnet.

Wenn überhaupt eine Kritik angebracht sein sollte, so hätten allenfalls noch Open Access-Verlage und deren jüngste Auswirkungen auf die Entwicklung des britischen Pressemarktes in die Analyse miteinbezogen werden können. Zudem wäre – zumindest punktuell – eine stärker innerbritisch-vergleichende Perspektive im Hinblick auf die jeweiligen Entwicklungen des Verlagswesens in England, Nordirland, Schottland und Wales wünschenswert gewesen. Sie hätte dem ohnehin schon sehr nuancierten Bild womöglich noch weitere spannende Facetten hinzufügen können. Allerdings schmälert dies weder die wegweisende Bedeutung der Studie noch hätte ein solches Vorhaben wohl auf weniger als 300 Seiten realisiert werden können. Festzuhalten bleibt daher, dass von der vorliegenden Überblicksuntersuchung vielfältige Impulse für zukünftige transnational-vergleichende Forschungen zum britischen Verlagswesen ausgehen dürften.